Für Tiffany aufgeschrieben
– 1998 –
von Ingrid Waschke
Natürlich könnte ich sagen, ich schreibe meine
„Memoiren“ oder „Lebensbeichte“, so wie es
heutzutage jeder Hans und Franz zu tun pflegt
aber Großspurigkeit entspricht nicht meinem
Wesen und daher nenne ich meine Schreiberei
schlicht und einfach:
Erinnerungen.
Manche sagen von mir, ich sei eine Lady.
Ich meine, das ist zu hoch gegriffen aber hier
und da nennt mich jemand „Madame“, das
gefällt mir gut.
Im Allgemeinen begegnet man mir mit Respekt,
sicher nicht nur wegen meines fortgeschrittenen
Alters sondern weil ich eine Persönlichkeit bin.
Ich bin jetzt um die neunzig Jahre. Verzeihen Sie
mir die kleine Ungenauigkeit, aber ein bisschen
geheimnisvolles Schäkern mit dem Alter sei mir
gestattet.
Geboren wurde ich als älterer Zwilling unter dem
Sternzeichen des Löwen.
Meine Mutter bemühte sich in den ersten Wochen
rührend um meine Schwester und mich obwohl sie
vermutlich nicht besonders glücklich war über
unsere Geburt. Wir waren das Ergebnis einer
heißen Liebesnacht mit dem Dorfcasanova,
der sich natürlich am Morgen danach für immer
aus dem Staub machte.
Als wir aus dem Gröbsten heraus waren, verlor
unsere Mutter das Interesse an uns und wir kamen zu
verschiedenen Pflegeeltern.
Bei meiner Pflegefamilie war ich bestens aufgehoben,
dass merkte ich sehr bald. Alle gingen liebevoll mit
mir um und ich habe sie ebenfalls lieb gewonnen.
Was soll ich erzählen; ist man jung, ist man wild,
abenteuerlustig und neugierig darauf, was das Leben
zu bieten hat. Wild bin ich in meinem Alter nicht mehr
aber die Neugier und die Abenteuerlust ist geblieben,
bis auf den heutigen Tag.
Mit meiner Familie zusammen bin ich viel auf Reisen,
zu Lande, zu Wasser und zur Luft. Meistens vertrage
ich das Autofahren nicht sehr gut, jedoch nach zwei
Tagen habe ich den Reisestress
abgeschüttelt.
Seit vielen Jahren fahren wir auf eine kleine
dänische Insel, dort erholen wir uns alle am besten.
Wobei ich persönlich den herrlichen Wald,
den Ostseewellen vorziehe. In jungen
Jahren ging ich dort zur Jagd, mittlerweile
genieße ich das Faulenzen auf der Sonnenterrasse.
Angenehm warme Sonnenstrahlen sind gut für
meine alten Knochen. Ach ja, die Knochen, wehtun sie,
wenn man in die Jahre kommt. Die Sehkraft lässt nach
und ein wenig auch das Gedächtnis, glücklicherweise
funktioniert mein Gehör noch ausgezeichnet
und diesem Umstand verdanke ich, stets auf
dem Laufenden zu sein.
Ein wahres Elend ist die Beschaffenheit meiner
Zähne, doch ich will mich nicht beschweren, meine
Familie kümmert sich rührend darum, sodass ich
trotzdem auf keine Leckerei verzichten muss und eine
Feinschmeckerin bin ich fürwahr, oh ja! Gelegentlich
habe ich dadurch leichte Probleme mit meinem Gewicht,
jedoch hat sich das nie negativ auf meinen geschmeidigen,
fast pantherähnlichen Gang ausgewirkt, um den ich
noch heute vieler Orts beneidet werde.
Nach wie vor lege ich großen Wert auf mein Äußeres und
das macht mich gleich um ein paar Jährchen jünger, ach
herrje, die liebe Eitelkeit.
Verehrer, weiblichen wie männlichen Geschlechts, hatte
ich mein Leben lang mehr als genug, war jedoch nie an
einer festen Bindung interessiert. Allein der Gedanke Kinder
zu kriegen, Schreck lass nach. Wahrscheinlich handelt es
sich hier um ein Trauma, ausgelöst durch den Windhund
von Vater.
Nie habe ich etwas in dieser Richtung vermisst, es hätte
mich nur Zeit gekostet und wahrscheinlich bei meinen
Beobachtungen und Einschätzungen der Menschen gestört.
Diese Spezies habe ich studiert und bin nunmehr auf
Grund meiner langjährigen Erfahrungen sogar in der
Lage, sie zu manipulieren.
Das hört sich zwar gefährlich an aber ich nutze diese
Möglichkeit nur zu meinem eigenen Wohlbefinden, wer
kann mir das verdenken?
So hasse ich zum Beispiel Veränderungen im häuslichen
Bereich. Ein geänderter Tagesablauf oder gar Gäste, sind mir
ein Gräuel und mein Missfallen daran zeige ich offen und
ehrlich, das muss man mir bitte nachsehen. Zeige nie bei der
ersten Begegnung, dass du Sympathie empfindest,
hätte ich meinen Kindern als Ratschlag mit auf den Weg
gegeben, meistens wird es ausgenutzt
und ein offenes Herz ist leicht zu verletzen.
Wie viele Jahre mir noch bleiben, weiß ich nicht aber
wenn eines Tages meine letzte Stunde schlägt, dann wird
meine Familie bei mir sein und ewig werde ich in
ihren Herzen weiter leben.
Das zu wissen macht mich glücklich und dankbar.
Tiffany von Waschke
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