Montag, 9. Februar 2009

Die Parabel vom Bambus

 

Die Parabel vom Bambus

*~**~*

Es war einmal ein wunderschöner Garten, der lag im
Westen des Landes, mitten in einem großen
Königreich. Dort pflegte der Herr des Gartens in der
Hitze spazieren zu gehen. Ein edler Bambusstamm war
ihm der Schönste und Liebste von allen Bäumen,
Pflanzen und Gewächsen im Garten. Jahr für Jahr
wuchs dieser Bambus und wurde immer anmutiger. Er
wusste wohl, dass der Herr ihn liebte und seine
Freude an ihm hatte.


Eines Tages näherte sich der Herr nachdenklich
seinem Bambus, und in seinem Gefühl großer
Verehrung neigte sich der Bambus mit seinem
mächtigen Kopf zur Erde. Der Herr sprach zu ihm:
„Lieber Bambus, ich brauche dich.“ Es schien, als sei
der Tag aller Tage gekommen, der Tag für den der
Baum geschaffen worden war.

Der Bambus antwortete leise: „Herr, ich bin bereit,
gebrauche mich, wie du willst.“ „Bambus“, die Stimme
des Herrn war ernst, „um dich zu gebrauchen, muss
ich dich beschneiden!“ „Mich beschneiden? Mich –
den du, Herr, zum Schönsten in meinem Garten
gemacht hast! Nein, das nicht, bitte nicht. Verwende
mich doch zu deiner Freude, Herr, aber bitte
beschneide mich nicht!“ „Mein lieber Bambus“, die
Stimme des Herrn wurde noch ernster, „wenn ich dich
nicht beschneide, kann ich dich nicht gebrauchen.“ Im
Garten wurde es ganz still. Der Wind hielt den Atem
an. Langsam beugte der Bambus seinen herrlichen
Kopf. Dann flüsterte er: „Herr, wenn du mich nicht
gebrauchen kannst, ohne mich zu beschneiden, dann
tue mit mir, was du willst; beschneide mich.“ „Mein
lieber Bambus, ich muss dir aber auch deine Blätter
und Äste abschneiden.“ „Ach Herr, davor bewahre
mich. Zerstöre meine Schönheit – aber lass mir doch
meine Blätter und meine Äste!“ „Wenn ich sie dir nicht
abhaue, kann ich dich nicht gebrauchen.“ Die Sonne
versteckte ihr Gesicht. Ein Schmetterling flog ängstlich
davon. „Herr, schlage sie ab.“ „Mein Bambus, ich
muss dir noch mehr antun. Ich muss dich mitten
durchschneiden, und dein Herz herausnehmen. Wenn
ich das nicht tun kann, kann ich dich nicht
gebrauchen.“ Da neigte sich der Baum bis zur Erde:
„Herr, schneide – und teile!“

So schnitt der Herr des Gartens den wunderschönen
Bambus, hieb seine Äste ab, entfernte seine Blätter,
teilte ihn in zwei Teile und schnitt sein Herz heraus.
Dann trug er ihn dahin, wo schon aus einer Quelle
frisches sprudelndes Wasser sprang, mitten in die
trockenen Felder. Dort legte der Herr des Gartens
seinen geliebten Bambus vorsichtig auf den Boden.
Das eine Ende des abgeschlagenen Stammes
verband er mit der Quelle, das andere Ende führte er
zu der Wasserrinde im Feld. Die Quelle sang ein
Willkommen, und das klare glitzernde Wasser schoss
freudig durch den zerteilten Körper des Bambus, wie in
einen Kanal. Er floss auf die dürren Felder, die so
darauf gewartet hatten. Dann wurde der Reis
gepflanzt, und die Tage vergingen. Die Saat ging auf,
wuchs und die Erntezeit kam.

So wurde der einst so herrliche Bambus zum großen
Segen. Als er noch groß und schön war, wuchs er nur
für sich selbst. Er freute sich an der eigenen
Schönheit. Als er sich hingegeben hatte, wurde er zum
Kanal, den der Herr gebrauchte, um sein Land
fruchtbar zu machen.

Bambus-2.jpg picture by peggy144

 

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